Die Jagd

Oktober 20, 2007

Ich begann zu pfeifen. Das letzte Mal als ich gepfiffen hatte war lange her. So lange das ich mich nicht mehr erinnern konnte. Dabei wurde mir schlagartig bewusst das ich bei weitem zu viel über das nachdachte was ich tat und sagte. Mein Erlebnis im Park hatte mich zu der Erkenntnis geführt, dass in all den Momenten die wir erleben und die wir zum großen Teil wohl auch leider bedauern, die einzige Konstante wir selbst sind. Wie all die Menschen um mich herum damit klar kommen war mir immer ein Rätsel. Ich hatte nie begriffen was mich wirklich ausmacht. Sicher gab es Dinge die ich an mir mochte und schätzte und viele Dinge davon waren sicher charakterlich herausragend. Doch die meisten Dinge an mir waren nun mal eher verwirrend, teilweise sogar ängstigend. Ich gestatte mir über dieses Thema ein wenig zu sinnieren, als ich durch die Straßen der Stadt lief ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen. Mir kam der Gedanke das diese Tätigkeit erstaunlich nahe an mein Leben angelegt war. Das bezog sich weniger darauf wie es vor sich ging, als eher die Tatsache das ich nie begriffen hatte wie ich es gestaltete.
Zu erst einmal musste ich eine positive Grundbilanz ziehen. Ich war jung, gesund, hatte eine gute Bleibe nebst einem mir auf eine gewisse neurotische Weise ähnelnden Mitbewohner, ich hatte Geld, eine Familie. Ich hatte also das was man allgemein als eine durchaus ansprechende Lebenssituation betrachten konnte. Doch was war meine Aufgabe in dieser Situation? Was hatte ich hier in diesem, meinem Leben, verloren? Ich will es genauer erläutern. Haben sie nie das Gefühl verspürt das man all die Dinge die sie erleben wie eine Scharade für sie aufführt? Wie ein Opfer bei diesen „Versteckte Kamera“ Sendungen? Sie sind zwar der Mittelpunkt der Handlung, dabei jedoch nichts als ein Opfer das sich fügen muss und die Dinge akzeptieren die man ihnen vormacht. Sie haben keinen Einfluss! Nun gut reden wir mehr von mir, schließlich kann ich nicht beurteilen wie sie das sehen sondern nur Vergleichsmomente heranziehen. Nehmen wir mal an etwas Gutes geschieht mir und ich habe nicht damit gerechnet. Die Freude ist groß, man freut sich mit mir und sicher tue ich es auch aber trotzdem, drängt sich mir der Gedanke sofort auf, dass eine Gegenleistung dafür zu erwarten ist. Als ob man spürt wie das Universum tickt und wenn einem die Stunde schlägt, egal ob gut oder schlecht, fragt man sich warum das so ist. Ich kann nichts unbedacht lassen wie ich bereits zu Anfang erklärt habe. Ich denke ständig darüber nach warum die Dinge so sind, wie sie sich entwickeln und kann deswegen meistens nie ruhig stehen. Auch wenn ich mittlerweile begriffen habe das Hoffnung immer da sein wird und eigentlich dieses ganze Gegrübel nicht wirklich dazu beiträgt, meine Stimmung zu verbessern, so kann ich es doch nicht lassen. Ich bin gefangen in einer Gedankenwelt die niemals ruhig steht und dabei trotzdem nie zu einem Ergebnis kommt, welches länger als ein paar weitere Gedanken hält. Nichts scheint von Dauer. Absolut gar nichts. Freude, Wut, Liebe und alles andere verblassen zu einem grauen Schleier aus Unwissen. Dieses Unwissen schürt mehr und mehr Fragen. Fragen nach dem Sinn und dem Unsinn eines Lebens, in dem ein Großteil der Dinge keine Bedeutung hat, weil man sich ausserstande sieht ihnen eine zu geben. Nicht das man es nicht versucht oder will, es scheint einfach nicht zu gehen.
Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf wird die Konstante des Selbst viel klarer. Wenn einem erst einmal klar geworden ist, das alles über kurz oder lange bedeutungslos wird und man sich seine emotional-gedankliche Verfassung ständig neu aneignen muss, damit sie wenigstens den Tag überlebt, begreift man das Chaos das man selber darstellt. Beneidenswert sind diejenigen, die ein festes Weltbild haben und wissen warum ihnen die Stunde schlägt. Ich scheine das nicht zu können und der einzige Weg diesem Leben aus trivialen Eindrücken und der ewigen Frage nach dem Morgen zu begegnen ist die Suche nach dem perfekten Moment.
Dem Moment der vollkommen einem selbst gehört und den nichts hinterfragbar macht. Ich jage diesem Moment mein ganzes Leben hinterher und es mag passiert sein das ich ihn erlebt habe. Ein Gefühl von absoluter Freiheit, ein Gefühl von unbeschreiblicher Ruhe im Geiste. Das Gefühl genau hier und jetzt einen Sinn zu haben, nur um das zu erleben was man gerade erlebt. In einer Welt aus Tausenden von Eindrücken und Verführungen zu wissen wer man ist, ist das größte Geschenk im Leben. Wenn du weist wer du bist, weist du auch wo du hingehörst.
Doch die Jagd zehrt. Sie verkommt zum Exzess und einem Kampf den man nie zu gewinnen scheint. Ist der Moment nämlich vorbei verflucht man ihn, da er einen verlassen hat und wieder alles nur von derselben Gleichgültigkeit zerfressen scheint, welche ständig wie ein Raubtier darauf wartet einen zu überfallen. Man jagt weiter, schneller mit mehr Intensität und akzeptiert jede Freud und Qual auf die gleiche Weise, nur um etwas näher an die Lösung zu kommen.
Während ich zurück in die Wohnung schlendere gehe ich all dies noch einmal durch. Ich will meinem Geist die Ruhe geben die er verlangt, denn auch wenn alles gleichgültig ist, so spüre ich doch die Einsamkeit die mir mein Denken schafft. Ich glaube es gibt nicht viele die so denken wie ich und mehr und mehr spüre ich, dass man meine Welt nicht zu teilen vermag. Eine begleitende Seele wäre schön. Jemand der dasselbe sucht wie ich und mit dem man im perfekten Moment verschmelzen kann. Etwas teilen kann das so wundervoll ist das nichts hinterfragt werden muss. Die perfekte Harmonie! Ich stehe bereits in der Küche als mir klar wird das ich nun mir wieder eine neue Taktik angeeignet habe. Ich muss nicht nur mich selber finden. Ich muss mich selbst in einem anderen finden. Ich kann diese Suche nicht allein gewinnen, denn über kurz oder lang wird meine Kraft versagen und nichts wird bleiben. Nicht mal die Gleichgültigkeit.
Wo bist du? Ich finde dich, denn ich weiß wir brauchen uns. Mehr als alles auf der Welt. Ich reinige das Bad, kehre die Splitter meines Spiegels zusammen und muss lachen. Wie oft werde ich selber mein Ebenbild noch brechen, bis mir eines begegnet das ich als mein eigenes ansehe?

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