Der Samariter

September 4, 2007

Ich schlug die Tür hinter mir zu. Mit einem lauten Krachen fiel sie ins Schloss und es war mir egal ob ich, besser gesagt wir, wieder eine Beschwerde bekommen würden. Mit der Wut im Bauch zur Arbeit zu gehen war weniger als nur empfehlenswert. Was ich mache? Ich bin als Telefonseelsorger tätig! Ich helfe anderen Menschen mit Problemen weiter, die sie selber nicht lösen können. Als ob ich sie selber lösen könnte. Ich meine natürlich ihre Probleme. Von meinen rede ich nicht, weder bei der Arbeit noch mit meinen sogenannten Seelenverwandten. Zurück zum Job. Ich steige mit all den anderen Lohnsklaven in die U-Bahn und drehe die Lautstärke meines MP3-Players bis zum Anschlag. Blues Rock, genauer gesagt das erste Mother Tongue Album, dröhnt durch mein Hirn. Ich achte nicht auf die Menschen um mich herum. Ich werde für den Rest des Tages noch genug gescheiterte Existenzen am Hörer haben mit denen ich mich auseinandersetzen muss.
Ich treffe im Call Center ein und setze mich an meinen Platz. Die übliche Maske der Software erscheint und ich loge mich ein. Das Headset auf den Ohren und schon beginnt das Leiden. Ich werde ihnen ersparen was genau ich zu hören bekomme und mich bereits im Vorfeld vor jeder Anklage freisprechen. Fragen wie: „Wenn du so drauf bist, warum machst du diesen Job dann?“ Ich tue es weil es gutes Geld bringt und weil ich im Herzen weiß das es mir hilft, wenn ich anderen eine Hilfe bin. Ich habe schließlich ein gefasstes Weltbild! Ich finanziere mit diesem Job mein Leben und werde wenn ich meinen Doktor habe sicher anderes tun können. Vor allem werde ich endlich die Anerkennung bekommen, welche mir während meines Studiums nicht zu Teil geworden ist. All diese aufgeblasenen Idioten die meinen es sei wichtig ein Leben zu führen, das Standards entspricht die sie selber nur aufgreifen müssen um etwas besseres zu sein. Ich meine sehen sie sich doch nur mal um! Früher war es so, das es gut war sich etwas unter zu ordnen. Die Generation unserer Großeltern hat sich einem Regime unterordnen müssen das jede Form von Individualität verbannt hat. Ihre Kinder gewannen, oder kämpften zumindest für, freies Denken und eine Lebensweise welche frei von allen Konventionen sein sollte. Was haben wir jetzt? Die schlimmste von allen Möglichkeiten. Individualität wird zum absoluten Credo. Frei denken und sein Leben nicht unter ein gewisses Licht zu stellen ist ein Muss geworden. Doch was keiner rafft, ist die Tatsache das man wenn man etwas wirklich außergewöhnliches tut, man sowieso in irgendeiner Schublade landet. Sobald sie sich in irgendeiner Weise anziehen und bestimmte Musik hören oder ein gewisses Buch lesen, landen sie ein einer Subkultur oder Schublade. Und wenn sie darauf hinweisen das es nicht so ist, landen sie in der schlimmsten von allen. Dann sind sind sie ein armer, wenn auch bemühter, Nonkonformist. Kurz gesagt sie können gar nicht anders als zu dem zu werden was alle erwarten, denn in der heutigen Zeit ist alles „In Ordnung“. Individualität und der freie Geist werden aufgegriffen, klassifiziert und dann in eine Form gepresst. Wenn sie gut dran sind können sie es weiterverkaufen und darüber lachen. Ich kann es nicht! Wofür soll ich verdammt noch kämpfen, wenn ich nicht weiß wie ich diesen Kreis brechen soll?
Meine Schicht endet und ich habe wieder einmal das ganze Elend dieser Welt auf meine Schultern geladen. Es ist jetzt vier Uhr am Nachmittag und ich brauche einen Drink. Ich verlasse das Unternehmen und wiegele meine Kollegen ab. „Hey Rick, kommst du heute Abend in den Pub? Hey Rick, wollten wir uns nicht da und da treffen?“ Ich mime den netten Kumpel und sage immer freundlich nein und ich hätte es vergessen.
So finde ich mich wieder. Im Park, um vier Uhr Mittags und ne Flasche Wein in der Hand. Zum kotzen!!!! Ist schon nett zu betrachten oder? Ein Mensch der anderen sagt was sie tun sollen und der alles verabscheut was irgendwie einem bestimmten Schema entspricht und hier sitze ich. Hasse mein Existenz und auch die Menschen um mich herum. Nicht alle natürlich. Ich habe Freunde. Gute Freunde und Familie. Sie können schließlich nichts für meine Art des Lebens und für meinen Kampf. Was mein Kampf ist? Ich spiele den abgeklärten Samariter und weiß dabei einen Scheiß. Was erwarte ich von meinem Leben und wo gehe ich hin? Die Menschen die ich liebe sind mir wichtig. Wichtiger als alles andere. Wichtiger als ich mir selbst bin.
Ich trinke die Hälfte des Weines aus und begebe mich auf den Weg nach Hause. Dort werde ich lesen und glauben das morgen sich etwas ändert. Das es etwas gibt für das es sich lohnt zu kämpfen und das man auch gewinnen kann. Mit ein bisschen Glück hat er die Splitter aus dem Bad entfernt. Dann wird jeder Tag enden wie jeder andere und ich muss mir nicht über das Morgen Gedanken machen.

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